Der Dokumentarfilm „Das Ende des Politbüros“ – Versuch eines Psychogramms der SED-Führungsclique. Protagonisten und Randfiguren erzählen von den letzten Monaten der SED-Spitze. Politbüromitglieder wie Schabowski, Schürer und Krenz bieten Innenansichten in die atemberaubende Hermetik eines Führungszirkels. Äußerungen damaliger Beobachter wie Honeckers Leibwächter eröffnen dem Zuschauer zusätzlich Einblicke, die Befunden in pathologische Beziehungsstrukturen innerhalb des Politbüros gleichen. Gefangene ihrer damaligen Rollen bleiben fast alle. Mit der individuellen Mythenbildung der damaligen Akteure beschäftigte sich der Dokumentarfilm „Das Ende des Politbüros“ am Mittwochabend auf arte.


Gleich zu Beginn nimmt Thomas Grimms und Jens Beckers Dokumentarfilm „Das Ende des Politbüros“ mit dem langsamen Schwenk eines historischen Originalbildes sein Thema ins Visier: Mielke, Mittag, Honecker und Co. Ein Spalier älterer Männer in mäßigen Mänteln steht da mit grauen Gesichtern an einem grauen 7. Oktober 1989 auf der Ehrentribüne. Das Tempo des Schwenks lässt den Zuschauer in den Gesichtern dieser Männer lesen. Es ist der 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Aber Freude sucht der Betrachter in den Physiognomien vergeblich.

Zwei Dutzend Gesichter. Ernst, unbewegt, ausdruckslos. Diese Gesichter erzählen von der Selbstsicherheit der Herrschenden. Von der routinemäßigen Gewissheit auf der historisch richtigen Seite zu stehen. Von Selbstvergessenheit nach Jahren des Regierens. Aber aus den Gesichtern spricht auch Erschöpfung und Leere nach all den vergeblichen Versuchen, das sozialistische Glück über die Menschheit zu bringen. Hinter den steinernen Gesichtsfassaden scheint sogar der Selbstzweifel zu arbeiten, nach den vielen Jahren ein ruiniertes Land zurückgelassen zu haben.

Direkt im Anschluß an diesen historischen Originalschwenk folgen die Zeitzeugen. Schabowski, Schürer, Krenz und Modrow. Einschätzungen des Jahres 1989 aus heutiger Sicht. Einschätzungen der politischen Lage und ihrer damaligen Wahrnehmung. Einschätzungen der persönlichen Spielräume. Sie alle offenbar in Privatwohnungen gedreht, sie alle im typischen Halblicht der anspruchsvollen Fernsehdokumentation, sie alle unkommentiert.

Herausragend ist vor allem Gerhard Schürers Unverstelltheit. Als er davon berichtet, wie er Krenz die wirtschaftliche Lage zum damaligen Zeitpunkt darstellte und darauf gedrängt haben will, das Ruder herumzureißen. Der Achtundachtzigjährige äußert sich unmißverständlich darüber „wie schlimm, wie beschissen, wie allseitig beschissen die Lage war.“  Schabowski dagegen tritt mit der mittlerweile bekannten Haltung des Beobachters auf, der die retrospektive Analyse eines Unbeteiligten vornimmt. Krenz dagegen befindet sich immer noch in seinen unendlichen Rückzugs- und Rechtfertigungsgefechten. Und diese Linien setzt sich fort.

Zwar räumt Schabowski schließlich persönliche Fehler ein, nimmt aber doch den Bonus des Geläuterten in Anspruch. Krenz zeichnet das Bild eines unberechenbaren Gorbatschows und eines übermächtigen Honeckers, dessen Ablösung unmöglich schien und wird plötzlich zum Opfer der Umstände.
Nachdem Schürer, Krenz und andere schließlich doch die Ablösung des damaligen Generalsekretärs in Angriff nehmen, macht ihnen Honeckers Gallenblase, an der er im Spätsommer erkrankt war, einen Strich durch Rechnung. Zu Bedauern ist, wer solche Feinde hat. Nun kommt eine Ablösung Honeckers erst nach dem rasant nahenden 40. Jahrestag der DDR in Betracht. Erst wollte man die Genesung des Rekonvaliszenten abwarten und seinen Auftritt am Jubiläumstag des Arbeiter- und Bauernstaats, bevor lebensnotwendige Reformen, wie beispielsweise ein neues Reisegesetz, auf den Weg gebracht werden sollten. Das Verhängnis bestand allein darin, dass die Gegenwart der DDR-Gesellschaft – mit den Massenfluchten via Ungarn und Prag und den zahlreichen oppositionellen Aktivitäten im Land – die Zukunftspläne der vermeintlichen SED-Reformer längst rechts überholt hatte.

Das Lavieren der damaligen Akteure in den heutigen Interviews aber dokumentiert die Bemühungen um eine spätsozialistische Mythenbildung. Der Wille war da, allein das Fleisch war schwach. In der inneren Logik des Politbüros mit seinen sichtbaren und unsichtbaren Hierarchien scheinen die Argumente plausibel. Nur hatte sich die innere Logik des Politbüros schon lange von den Herausforderungen der Wirklichkeit entkoppelt. Die SED-Spitze war ein in sich selbst zurückgekrümmtes Verdrängungssystem.

Großartig dennoch die Rekonstruktion der entscheidenden Stunden des Politbüros. Im Spitzengremium der SED fürchten die Ablösewilligen um ihre Mehrheit. Sie, die Spitzen der Partei, die gerade noch eingeräumt haben, die letzte öffentliche Wahl im Land gefälscht zu haben, müssen jetzt um die Mehrheit fürchten. Grimm und Becker collagieren die Aussagen der Beteiligten fast vollständig unkommentiert. Auch wenn ein Sprecher im typischen TV-Gestus Zusammenhänge herstellt, was vielfach überflüssig erscheint. Die Statements der Politbüromitglieder als Dokumente zu verstehen, ist eine der großen Stärken des Films. Er überlässt es dem Zuschauer, Einschätzungen und Wertungen vorzunehmen. Auch wenn man sich Fragen nach Verantwortung und Begriffen wie Schuld und Reue gewünscht hätte, bleiben selbst Schabowskis und Krenz‘ Schilderungen der letzten Politbürositzung unter Honeckers Leitung beeindruckend – wenn sich der Zuschauer die Mühe macht, sie mit der nötigen Skepsis zu betrachten und das zu ergänzen, was sie eben nicht sagen, was nicht Teil ihrer individuellen Verantwortung gewesen sein soll. Das kolportierte Schlusswort Honeckers, der schließlich selbst für seine Ablösung stimmt, beschreibt mit seinem „Heute bin ich es, morgen seid ihr es!“ die psychischen Dispositionen der Politbüroclique sehr genau.

Zu den filmischen Mitteln bleibt noch zu sagen, dass sich im dokumentierenden Fernsehen leider überflüssige Spielszenen und der Einsatz dramatischer Musik zum vermeintlich besseren Verständnis längst festgesetzt haben, was Stoffen wie diesem nicht immer hilft. So vermitteln die nachgestellten Szenen im Politbüro eher den Eindruck, es habe an Budget gefehlt, um noch adäquate Schauspieler einsetzen zu können. Ebenso irritiert die Bedrohung simulierende Musik in einigen Passagen. Die Abgründe sind auch ohne akustischen Hinweis unübersehrbar. Ganz im Gegensatz dazu steht die Verwendung der vielsagenden Tagebuchnotizen des damaligen Leiters der Abteilung Sicherheitsfragen beim Zentralkomitee der SED, Wolfgang Herger. Er führt uns anstelle eines Erzählers durch die Dunkelheiten der letzten Wochen der alleinigen SED-Führung. Aber auch hier ist das Nichtgesagte, das Nichtgeschriebene interessanter, als die dokumentierte Klaustrophobie mit ihren autistischen Zügen innerhalb der Führungsspitze.

(Originaltext erschien am 16.09.2009 auf FriedlicheRevolution.de)