Markus Heidmeier

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Tag: Politik

Weil es ohne Dich nicht geht! Offener Brief an die Union


Liebe Union, wir brauchen Dich mehr denn je! Nur mit Dir wird es dauerhaft eine offene Gesellschaft geben, die nicht in “Stämme” auseinanderfällt und sich in Kulturkampfscheingefechten aufreibt und blockiert. Dafür haben wir in Anbetracht von Migrationsdruck, Klimakrise, Dekaboniosierungszielen und Digitalisierung keine Zeit.
Die offene Gesellschaft braucht die Union als Kraft der Mitte, auch der rechten Mitte mehr denn je. Nur eine Union, die im Sinne der Volkspartei die progressive Mitte, die christliche Arbeitnehmerschaft aber insbesondere auch den Mittelstand und die Industrie sowie die Wert-Konservativen hinter ihren politischen Ideen und Lösungskonzepten versammeln kann, nur eine Union dieser Prägung, wird es der offene Gesellschaft ermöglichen – trotz der massiven Störfeuer von linken und insbesondere rechten Rändern – die enormen Aufgaben so anzupacken und zu lösen, dass wir bei aller politischen Kontroverse immer wieder breite gesellschaftliche Konsense herstellen können. 

Deswegen bitten wir dringend darum, besinne Dich auf Deine eigentlichen Aufgaben und übernimm Verantwortung. Dazu zählt auch ein klarer aber zeitgemäßer konservativer und wirtschaftsnaher Kurs, aber kein reaktionärer, der in ins Rechtspopulustische changiert. Deswegen bitten wir um baldige Kurskorrektur und Klärung, wer diesen Kurs adäquat an der Parteispitze vertreten soll.

Ich ergreife diese Initiative nicht zuletzt als Digital-Unternehmers aus dem Berliner Prenzlauer Berg. Handelsübliche Milieuzuschreibung: links grüne Hafermilch-Blase mit Wokeness-Allüren. Ich werde ganz kurz persönlich, um klar zu machen, von wo aus dieser Appell an die Union adressiert wird: 
Ich arbeite in einem knapp fünfzigköpfigen Team. Wir produzieren Medien für öffentlich-rechtliche Sender und Streamer. Vom woken feministischen TikTok-Kanal über die Sport-Doku bis hin zu True-Crime-Serien oder Investigativ-Podcasts. Wir kochen im Team einmal die Woche und das immer vegetarisch und meistens gibt es auch noch eine vegane Variante. Neben der Kaffeemaschine stehen mehr Hafer- als konventionelle Milchpacks. Alles Bio versteht sich. Die offizielle Kommunikation unserer Company benutzt das Gender_gap in Mails. Wir haben jährlich Antirassismusworkshops, in den Themenwelten unserer Formate fallen auch Begriffe wie “queer” oder  “toxische Männlichkeit”.
Dass ich persönlich die politische Geographie mit den Polen links und rechts für überholt halte, dass ich registriere, dass auch in diesem vermeintlich superprogressiven Woke-Milieu gestelztes Sprechen mit Aufklärung verwechselt wird und dass Debatten auch von dieser Seite oft mit einem naiven Dünkel moralischer Überlegenheit und unterkomplexen Betrachtungen der massiven Herausforderungen der nationalen und internationalen Lage geführt werden, sage ich hier nur der Vollständigkeit halber. 
Und wenn diese kurze Ausführungen schon tribalistische Züge haben, die mir Sodbrennen verursachen, greife ich dennoch auf diese holzschnittartige Klarstellung zurück, um unmissverständlich klar zu machen, “aus welcher Ecke” dieser offene Brief kommt. Oder um es abschließend noch drastischer zu vereinfachen: Hier spricht die Hafermilch-Prenzlauer Berg Bubble und appelliert an die Union, sich ihrer enormen politischen Verantwortung endlich bewusst zu werden.
Ich persönlich werde die Union vermutlich nie wählen, aber ich habe tiefsten Respekt vor ihren Verdiensten. Wer Argumente hinter meiner Einschätzung sucht, lese bitte Jan-Werner Müllers “Das demokratische Zeitalter” oder “Mitte/Rechts” von Thomas Bierbicher. Kurzfassung: Ohne moderate politische Rechte, keine Demokratie.

Zur Sache: Die offenen Gesellschaften des politischen Westens ringen unter Schmerzen um Lösungen angesichts großer Herausforderungen. Der Klimawandel erfordert massive Umbauten der Wirtschaft und ihrer Produktionsweise, die Digitalisierung verändert unsere Kommunikationsräume, fortschreitende Akte der Emanzipation geben lange marginalisierten Gruppen unüberhörbare oft unbequeme Stimmen, globale Migrationsbewegungen strapazieren die Aufnahmefähigkeiten der Zielländer, imperiale Kriege wie der Angriff Russlands auf die Ukraine weisen auf drohende Konflikte im weltweiten Maßstab hin.
Umso wichtiger ist es, dass das Ringen um Lösungen in diesen offenen Gesellschaften zwischen den Parteien des demokratischen Spektrums ein Ringen entlang der Themen und Aufgaben bleibt und nicht angesichts drohender Überforderungen in laute aber unproduktive Kulturkämpfe mutiert.

Hier kommt Dir, liebe Union, eine besonders wichtige Aufgabe zu. Und dieser Appell soll der Union und denjenigen, die sich ihrem politischen Weltanschauung zuordnen, vergegenwärtigen wie viel Verantwortung Ihr aktuell habt (selbstverständlich hat auch das Mitte links Milieu ebenso viel Verantwortung, die dortigen Herausforderungen (ist die SPD vielleicht in vielem konservativer als die Union…?) sollen aber bitte andere an anderer Stelle verhandeln). 
Es gibt in der Zeitgeschichte das unscheinbare Aperçu “Only Nixon could go to China”. Was ist damit gemeint? Nur der hart-konservative US-Präsident hatte 1972 die Freiheit, die US-amerikanische Gesellschaft auf einen neuen Kurs in der Chinapolitik zu führen, nur ihm, dem Hardliner, gestand die US-Gesellschaft den Besuch von Mao Zedong in Peking und die Neuaufnahme von Beziehungen zu China zu.

Was hat das mit der Union zu tun? Zwei Beispiele: 
Nur die Union wird der eher konservativen Hälfte der Gesellschaft und Teilen der Wirtschaft ein Transformationsprogramm im Sinne einer Dekarbonisierungsstrategie vorlegen können, die nicht durch einen Kulturkampf um die Heizungstechnologien in den Kellern von Privathäusern bis zur Unkenntlichkeit verdünnt wird oder das unvermeidliche Verbrenneraus verschleiert, sondern im Sinne einer Partei der Wirtschaft hier die Chancen für Wachstum (im besten Sinne) sieht.
Aber dass ein Umbau der Wirtschaft kommen wird, zeigen alle Indikatoren. Die Frage ist, ob wir ihn gestalten oder von ihm gestaltet werden. 
Warum, liebe Union, besetzt du dieses Feld nicht? Wo ist Deine Vision einer starken deutschen und europäischen Wirtschaft? Wo ist die positive Erzählung? Wir brauchen sie mehr denn je. 
Lasst uns politische Fiktionen wie “Technologieoffenheit” zur Seite legen, sie verstellen den Blick. Lasst uns die Frage stellen, was wir tun müssen, um die Weltmarktführerschaft im Automobilsektor in Zeiten von E-Motoren, Batterien und Mobilitätsketten zurückzuerobern. Lasst uns die Frage stellen, wie wir aus den vielversprechenden Konzepte rund um Sonnen-, Wasser und Windenergie zur Benchmark für andere werden.  
Nur die Union wird der eher konservativen Hälfte der Gesellschaft klar machen können, dass Migration für Jahrzehnte eine Herausforderungen für den globalen Norden bleiben wird. Nur der Union werden erhebliche Teile der Gesellschaft abnehmen, wenn wir ihr endlich den berühmten reinen Wein einschenken und klarmachen, dass alle aktuellen Versuche Migration über Rücknahmeabkommen, Mittelkürzungen etc, immer nur graduelle Dämpfungen bringen werden und das antidemokratische, radikale Parteien immer leichtes Spiel haben werden, auf dieses Scheitern der politischen Fiktionen zu verweisen. Nur die Union hat (noch) den politischen Spielraum, in der gesamten Migrations-, Einwanderungs- und Asyldebatte neue Pfade zu bahnen (so wie nur rot-grün die Agenda 2010 beschließen konnte).
Die Union sollte anerkennen, dass wir dauerhaft Migration erleben werden und nur sehr bedingt steuern können. Die Union sollte das in ein wirtschaftliches “Asset” verwandeln. Die Union sollte dafür Sorge tragen, dass wir noch mehr Geld für Asylsuchende, Flüchtende und Einwandernde aufwenden, um sie in den Arbeitsmarkt zu bekommen. 
Als Unternehmer schaue ich fassungslos auf die schlechte “Projektkonzeption Migration” und sehe an keiner Stelle wirtschaftliches Denken. Was ist die Vision des aktuellen Vorgehens? Wann kommt es zum Turnaround? Wo und wann ist der Return der Aufwendungen geplant? Vereinfacht aus Unternehmerperspektive schlage ich diesen Programmpunkt für die nächste Bundestagswahl vor: Wir erhöhen die Ausgaben für die Versorgung und Ausbildung von Eingewanderten um 50% und garantieren in der Perspektive eine Quote von Eingewanderten in Arbeit von ebenfalls 50%. Damit haben wir alle Aufwendungen wieder eingespielt (man sehe mir das Grobschlächtige hier nach, das lässt sich sicher kleinteiliger entwerfen und ist sicher rechtlich sehr anspruchsvoll; es geht hier eher um das Prinzip und natürlich geht es vor allem auch um Grundrechte, Würde etc. ).
Liebe Union, die Aufgabe ist hoffentlich entlang der Beispiele klar geworden und Du kennst sie sicher gut und hast viele gute Vorschläge. Lass sie uns hören. Denn Du hast viel zu viel Verantwortung, als dass Du Dich in Kleinstdebatten rund um die zahnärztliche Versorgung von Asylbewerbern oder die Gendersprache an Schulen und in der Verwaltung verzetteln solltest.  
Nur eine konstruktive Union hat eine Perspektive. Die Assimilation an Sprache und Denken rechter Ränder führt in die unaufhaltbare Erosion. Siehe Frankreich, siehe Italien, siehe USA.  
Deine Situation scheint auf den ersten Blick zwar undankbar, eingeklemmt zwischen einer rot-grün-gelben Regierung, in den östlichen Bundesländern oft zur Defacto-Handlungsfähigkeit verdammt, weil die Antidemokraten der AfD jedes Eurer Manöver “feindlichen” übernehmen, aber der Schein trügt.

Es gibt jede Menge Platz für eine moderne konservative Partei, die sowohl die “alte”  konservative Mittelschicht als auch die “neue” urbane anspricht. So wie es Euer Job war in der Mitte des 20. Jahrhunderts katholische und protestantische Milieus zu versöhnen und aus Nationalkonservativen Strömungen die Pro-Europäische Kraft par exellence zu machen, so ist es heute Euer Job, Technologie, Wirtschaft, gesellschaftliche Emanzipation aller Gruppen sowie insbesondere die anstehende Transformation zu gestalten. Den ersten Job hast Du überragend gelöst, was die sogenannte politische Linke Dir eigentlich nie verziehen hat und deswegen nicht anerkennen kann, beim zweiten kannst Du Dir ganz nebenbei ein neues und zeitgemäßes konservatives Profil erarbeiten. 
Let’s go!    
In tiefstem Respekt und mit den besten Grüßen aus der Hafermilch-Bubble im Prenzlauer Berg. 
P.S. Dieser überheblichen und dünkelhaften Hafermilch-Bubble müssen auch dringend die Leviten gelesen werden; next time. 

Zombieland

Donald Trump, Recep Tayyip Erdoğan und Vladimir Putin sind Zombies. Nicht weil ihre atemberaubende Unverfrorenheit erschüttert, sondern weil sie den Wiedergänger des untergegangenen weißen Mannes verkörpern. Es ist (hoffentlich) das letzte verzerrte Aufbegehren des Mannes, dessen Rollenverständnis von Hans Albers und John Wayne geprägt wurde. Diese Männerrolle gibt es nicht mehr. Die Trauerarbeit angesichts des Verlusts ist jedoch in unberechenbare Aggression umgeschlagen.  Weiterlesen

Montagsradio, Ausgabe Nr. 23 – „Die Stasi und die Opposition“

„Neues Forum“ und „Demokratie jetzt“ sind gegründet. Auch die SDP ist bereits ins Leben gerufen. „Demokratischer Aufbruch“ und andere Gruppen stehen in den Startlöchern. Die Opposition, das ist im Spätsommer 1989 unübersehrbar, formiert sich. Wie reagiert die DDR-Führung? Welche Strategien verfolgt der Staatssicherheitsdienst?

Darüber sprechen wir mit dem Historiker und Autor Ilko-Sascha Kowalczuk. Eine Besprechung seines Buchs „Endspiel“ gibt es hier.

Montagsradio, Ausgabe Nr. 23

Der Originalartikel erschien am 15.09.2009 auf FriedlicheRevolution.de

Das Internetmanifest – Medienradio, Ausgabe Nr. 10

Julia Seeliger, alias @zeitrafferin, hat heftige Kritik geübt am Internet-Manifest. Nachdem ausführlicher Textkritik, schien es wichtig, doch noch einen der Autoren des Manifests zu hören. Markus Beckedahl schilderte per Handy Genese und Stoßrichtung des Textes.

Wir sprechen mit beiden über eine vertane Chance.

Männer, Mäntel, Mythen

Der Dokumentarfilm „Das Ende des Politbüros“ – Versuch eines Psychogramms der SED-Führungsclique. Protagonisten und Randfiguren erzählen von den letzten Monaten der SED-Spitze. Politbüromitglieder wie Schabowski, Schürer und Krenz bieten Innenansichten in die atemberaubende Hermetik eines Führungszirkels. Äußerungen damaliger Beobachter wie Honeckers Leibwächter eröffnen dem Zuschauer zusätzlich Einblicke, die Befunden in pathologische Beziehungsstrukturen innerhalb des Politbüros gleichen. Gefangene ihrer damaligen Rollen bleiben fast alle. Mit der individuellen Mythenbildung der damaligen Akteure beschäftigte sich der Dokumentarfilm „Das Ende des Politbüros“ am Mittwochabend auf arte.

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100 Tage Obama — Grund zur Euphorie oder bloßes Marketing?

Wir sprechen im Breitband vom 02.05.09 mit Ralf Siena, ARD Korrespondent in Washington. Nach Kräften gießen wir Wasser in den allgemeinen Euphorie-Wein. Breitband 020509