Die Parallelen sind überwältigend und erreichen historische Dimensionen. Die DDR-Staatsführung ignorierte den Umbruch im eigenen Land. Die Wirklichkeit hatte die gelähmte SED-Führung längst überholt. Fast auf den Tag genau jährt sich nun die Gründung des Neuen Forums in der DDR im September 1989. Auch das Neue Forum wollte Staat und Struktur der Gegenwart anpassen. Jedoch wurde auch den Forderungen des Neuen Forums eine gewisse Profillosigkeit und Beliebigkeit vorgeworfen. Zudem leben wir im Jahr 169 nach Erscheinen des Manifests von Karl Marx und Friedrich Engels. Mit Blick auf Wahlergebnisse und Bankenkrisen scheint selbst das gute alte Manifest noch einmal zu reüssieren…


Und nun erschien am zurückliegenden Montag das so genannte Internet-Manifest. Ein Zufall? Eine Koinzidenz? Jedenfalls hätte man von den Autoren ein Minimum an Geschichtsbewußtsein erwarten können. Oder sind Artikulationen wie dieses Manifest Ausdruck der grassierenden Technik-heiuls-Erwartung? Dass sie sich nicht auf einer Linie mit der DDR-Opposition sehen, ist zwar nachvollziehbar. Aber die großen bis übergroßen historischen Vorbilder in Sachen Manifest hätten ihnen bewußt sein müssen.

Denn die Autoren des Internet-Manifests sind das, was man wohl die digitale Elite unter Deutschlands Netzaktivisten nennen könnte – zumindest werden sie landläufg als Elite gehandelt. Und diese Netzelite bezieht jetzt gerade schwer Prügel. Das Manifest wird von vielen als mittelmäßig, flach und enttäuschend kritisiert.

Es ist eine vertane Chance. Wäre es doch mit Blick auf die zurückliegenden Hamburger Erkärungen, Heidelberger Appelle und Co an der zeit gewesen, einen adäquaten Kontrapunkt zu setzen. Ob das Manifest als Form dabei zeitgemäß ist, darf bezweifelt werden. Auch die Wiederbelebung der mehr als schlichten Dichotomie „Wir jung, digital, schlau“, „Die alt, von gestern, unschlau“ ist eher peinlich als hilfreich.

Dabei waren unter den Autoren Netzgrößen wie Beckedahl, Häussler, Lobo, Sixtus, Niggemeier, Knüwer, Bunz, Passig und Co. Allesamt Mitglieder der höchsten Netzkaste. Aber der Gegenwind ist scharf. Hier nur eine erste Auswahl:

Don Alphonso: „Und es wäre jetzt einfach wunderbar, wenn sich die selbst erklärten Superchecker jetzt zusammensetzten, ein Medium nach ihrer eigenen Kompetenz schaffen und dann zeigen, dass sie mehr als nur die Klappe aufreißen können. Das beste Argument ist nicht einfach nur hingeschmiert, es ist die erfolgreiche Umsetzung“.

Die taz fordert: „Redet über Geld“ und kommt zu dem Schluß „In eurem Papier werft ihr die Wissensproduktion dem Markt zum Fraße vor. Es liest sich so, als wünschtet ihr euch direkt in die Entstaatlichung, in einen rechtsfreien Raum […] Ihr hättet es besser gekonnt.“

Felix Schwenzel von wirres.net stellt irritiert fest „ein paar journalisten und blogger haben haben über das was sie tun nachgedacht und den kleinsten gemeinsamen nener auf den sie sich einigen konnten aufgeschrieben und es ‚internet-manifest‘ genannt. dieser kleinste gemeinsame nenner soll zeigen ‚wie journalismus heute funktioniert‘ — oder könnte oder sollte. ich schliesse mich martin recke an, der das ergebnis ‚enttäuschend‘ findet und die behauptungen und beweisführung als ‚geballte mittelmässigkeit‘ sieht.“ und resümiert „auch das internet macht aus scheisse kein gold.“

Die Netzeitung vermisst bei den Autoren echte Radikalität und fordert „Onliner aller Länder, vereinigt euch!“

Malte Welding spottet gleich in Gedichtform. Das Internet-Manifest, Addendum!

Der Originaltext erschien in ähnlicher Form am 09.09.09 auf breitband-online.de (Medienmagazin Deutschlandradio Kultur