Das Netz ist visuell. Klar. Doch Audio hat auch Riesenchancen. Als Podcast, als Begleiter langer Autobahnfahrten (noch) oder als „customized content“ in zeitgemäßen Radiomediatheken. Es gibt sie noch nicht. Aber es könnte sie bald geben. Eine Perspektive.
Mediatheken sind eine Glaubensfrage. Brauchen wir sie eigentlich? Oder benötigen wir nur den perfekten Artikel, die perfekte Suche, den perfekten Empfehlungsalgorithmus? Nein, wir brauchen Mediatheken, echte Radiomediatheken, sie leisten etwas komplett anderes als Fernsehmediatheken. Sie sind zeitgemäße Interfaces, um Radiohören als Kulturtechnik im 21. Jahrhundert weiterzuentwickeln. Einige Überlegungen.
Sicher ist, nur sehr wenige Nutzerinnen und Nutzer werden abends ihren Laptop aufklappen und gezielt nach Radiosendungen suchen. Das gezielte Interesse gibt es zwar, doch diese Userinnen und User abonnieren häufig Podcasts und die entsprechenden Podcatcher.
Fernsehangebote werden in der Regel anders genutzt. Gerade wenn TV-Screens über den Chromecast oder Apple-TV angeschlossen sind. Auch ist die Durchschnittslänge einer TV-Sendung deutlich höher. Dadurch bringen Nutzerinnen und Nutzer eine höhere Bereitschaft mit, zwei oder drei Abendstunden mit wenigen Klicks zu gestalten. Nach dem Krimi noch eine Reportage, danach vielleicht doch noch die „tagesthemen“ oder das „heute journal“.
Radiohörerinnen und -hörer suchen ein ganz anderes Angebot. Sie werden eine echte Radiomediathek nicht nur abends nutzen, sondern zu jeder Zeit – und vor allem überall. Höchste Zeit also über diese Radiomediathek nachzudenken.
Wer dafür nach Vorbildern sucht, findet sie überall – nur eben nicht in den Onlineangeboten von TV-Sendern. Und leider sind die meisten Radiomediatheken Stiefgeschwister von TV-Mediatheken. Von den wenigen Ausnahmen wie der mittlerweile berühmten NPR One App oder dem Angebot von WNYC mal abgesehen.
Aber wer sind eigentlich diese Nutzerinnen und Nutzer? Unsere Hypothese lautet: Menschen, die regelmäßig Radio hören, Radiomarken kennen, vielleicht sogar das jeweilige Programmschema. Sie interessieren sich für bevorzugte Sendungen, bevorzugte Themen, vielleicht auch bevorzugte Stimmen. Sie stellen sich schon heute eigene Programme auf Basis von Audio on Demand-Angeboten der Programmanbieter oder mit Hilfe von Podcatchern zusammen.
Diese Zielgruppe bewegt sich mit einer gewissen Sicherheit im Netz, nutzt auch TV-Mediatheken oder Streamingangebote wie Spotify oder Netflix. Das sind die Interfaces, die Benchmarks setzen.
Diese Zielgruppe hat einen wachsenden Bedarf an personalisierten Angeboten. Unter zeitsouveränem Hören verstehen sie , ihre Themen zu einem beliebigen Zeitpunkt an einem beliebigen Ort abzurufen. Das ist die Kulturtechnik Radiohören, die wir bedienen müssen.
Dieser grob skizzierte Bedarf muss durch eine Radiomediathek bedient werden, die vom Nutzer aus gedacht wird – nur vom Nutzer aus. Auch wenn das in der Umsetzung größere Herausforderungen nach sich zieht wie z.B. eine Grundlage aus strukturierten Daten mit Audios, die über umfangreiche Metadaten verfügen. Doch alle anderen „Mediatheksangebote“ sind in Wahrheit Audiobibliotheken mit einer entsprechend bibliotheksartig Benutzeroberfläche.
Was ist die Userstory dieses Radionutzers? Warum kommt er überhaupt auf die Idee, eine Radiomediathek anzuschmeißen?
Die Antwort ist einfach – irritierend banal. Er oder sie will Radio hören. Nur nicht das, was gerade im linearen Programm läuft. Radio hören heißt, Inhalte hören, während wir Auto fahren, kochen, joggen oder die Wohnung aufräumen. D.h. die Radiomediathek muss die Kulturtechnik „Radiohören“ themengetrieben anbieten.
Ein Nutzer interessiert sich für Wissenschaft, vielleicht genauer für Biologie und alles rund um bestimmte Erkrankungen. Eine Nutzerin interessiert sich für Sport, vielleicht Sportpolitik, den Korruptionsskandal bei der FIFA. Diesen Nutzern müssen wir eine Kollektion von Beiträgen ermöglichen, die wie ein Radioprogramm ablaufen – ein personalisierter Stream. Wir nennen ihn „Mein Radio“.
Auf Basis von Kategorien, Unterkategorien und Schlagworten muss ein User zukünftig eigene Streams zusammenstellen können. Je nach Bereitschaft kann das sehr grobkörnig stattfinden, indem ein User einfach nur ein Ressort oder eine Kategorie auswählt und sich Inhalte nach Aktualität abspielen lässt – oder er bzw. sie kann sehr feinkörnig Themen abfragen, die auch noch nach Datum oder Länge des Beitrags oder sogar nach Herkunftsressort sortiert werden.
Dabei folgen die Interfaces dem Motto maximale Vereinfachung – mit der Chance für die ambitionierten Nutzer, erweiterte Einstellungen vorzunehmen. Die Angebote im Desktopbereich, den mobilen Seiten sowie einer entsprechende App müssen dabei von ganz unterschiedlichen Nutzungssituationen ausgehen. Mobil und gerade in der App möchte der User extrem schnell zu seinem Stream gelangen. Aus diesem Grund werden wir hier das Startinterface maximal reduzieren müssen. Anders ist das im Desktopbereich. Hier werden wir unmittelbar auch Suchen und Podcasts anbieten können.
Dabei ist die Konzeption und die Gestaltung der Interfaces verhältnismäßig einfach. Die eigentliche Herausforderung ist die Strukturierung der Daten. Denn nur strukturierte Daten werden sich auf Basis von Kategorien oder Schlagworten finden lassen. Oder sogar von Empfehlungsalgorithmen z.B. in einer App an die Wünsche der Nutzerinnen und Nutzer angepasst.
Die Vergabe dieser Kategorien und Schlagworte (und zukünftig vielleicht auch der Geo-Daten oder anderer Metadaten) ist dabei eine ausschließlich redaktionelle Leistung. Wir werden intensiv daran arbeiten müssen, dass die Vergabe dieser Metadaten zukünftig so leicht wie möglich wird. Erst dann werden wir die Reichweite der Angebote angemessen steigern können. Erst dann wird die Nutzung von Radiomediatheken (oder wie auch immer diese Interfaces schließlich genannt werden) smart sein. Erst dann werden wir zeitgemäße Findmaschinen für unsere hochwertigen Inhalte anbieten können.
Co-Konzeption und Wireframes: Arjan Dhupia
(Diesen Artikel habe ich im Juli 2015 im Blog des Deutschlandradios zuerst veröffentlicht)
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