Unterkomplex. Das sind die Einschätzungen vieler mit Blick auf die Medien. Manchmal aus Bösartigkeit, viel häufiger aber aus Unbedarftheit. Denn das kümmerliche Dasein der Medienbildung an deutschen Schulen ist eine Voraussetzung des diffusen Unbehagens an der vermeintlichen „Lügenpresse“.

 

Seit 2013 unterrichte im Studiengang Medienforschung am Institut für Kommunikationsforschung der TU-Dresden. Es ist ein kleiner Lehrauftrag an einer großen Exzellenz-Universität. Die Studierenden gelangen häufig nur über das Losverfahren an einen Studienplatz am IfK.

Das alles erwähne ich nicht, weil das die Großartigkeit des Lehrauftrags ganz beiläufig illumieren soll, sondern weil ich jedes Semester engagierten und neugierigen Studienanfängern gegenübersitze, die oft nach einer abgeschlosenenen Lehre oder dem Abbruch eines anderen Studiengangs aus geradezu intrinsischen Motiven diesen Studiengang gewählt haben und mir, dem Praktiker, mit großer Offenheit gegenüberstehen.

Jedes Semester starten wir eine Feldforschung zu einem Thema, das den Jouralismus gerade umtreibt. 2013 war es „Journalismus als Beruf in Zeiten der Digitalisierung“, 2014 „Journalismus und Technologie„. Aktuell ist es „Echtzeit“ (über Risiken und Nebenwirkungen des Echtzeitjournalismus äußerte sich Anfang 2014 noch Frank Schirrmacher, aber natürlich geht es bei uns auch um Twitter, Quantifieds-self etc.). Dass es unmittelbar vor Start des ersten Blockseminartermins dann mit den Attentaten in Paris das perfekte Anschauungsmaterial gab, war in der letzten Woche übrigens ein mehr als bitteres Geschenk. Jedes Semester erörtern wir Fragen nach neuen Formaten und neuen Distributionskanälen im Journalismus. Jedes Semester produzieren die Studierenden dann im Laufe des Seminars eigene Artikel, Interviews und dieses Semester auch eigene Liveblogs.

Bild der Medien auch bei Studierenden schwer beschädigt

Jedes Semester aber starte ich mit den Studierenden vorab auch eine kompakte Grundsatzdiskussion über den Zustand der Medien, befrage sie, welche Medien sie nutzen, wie sie die Zeitungen, Fernsehkanäle sowie alte und neue Digitalmarken im Netz einschätzen. Das Ergebnis ist jedes Semester ähnlich ernüchternd: Obwohl sie sich ganz offenbar sehr für Medien, Medienentwicklung, Medienwirkung und Medienforschung interessieren, ist ihr Wissen dünn. Manchmal können nicht einmal so grundsätzliche Formate wie Nachrichten und Kommentare klar unterschieden werden. Vor diesem Hintergrund sind dann allgemeine Einschätzungen wie die „Zeitungen sind sowieso nicht mehr zu unterscheiden. Alle berichten immer dasselbe“ oder „Der Presse darf man schon lange nichts mehr glauben“ nur noch bedingt irritierend. Dass diese Äußerungen eine Nähe zu so unappetitlichen Bewegungen wie der sogenannten Pegida erzeugen, ist von den Studierenden – gerade in Dresden – völlig ungewollt. Denn das Gegenteil ist ja der Fall, sie erweisen sich im Seminar als neugierig, offen, diskussionsfreudig und politisch alles andere als fanatisiert.

Aber es zeigt eines: Die Medienbildung ist in Deutschland derartig unterentwickelt, dass so falsche und historisch kontaminierte Begriffe wie „Lügenpresse“ von Tausenden krakelt werden können, ohne dass die breite Empörung der Öffentlichkeit die Republik erschüttert. Das eigene Bild der Medien ist ja ebenfalls mehr als eingetrübt. Aber woher kommt dieser Phantomschmerz? Es scheint mit der unentwickelten Kompetenz zusammenzuhängen, Medien tatsächlich kritisch beurteilen zu können und nicht nur die regelmäßigen Skandale und Skandälchen vor Augen zu haben (wie z.B. den glorreichen RTL-Undercover-Mann…). Demokratietheoretisch gesehen, dürfte damit jedenfalls eine zentrale Vitalitätsfunktion unserer Gesellschaft in Frage stehen – Öffentlichkeit/Pressfreiheit nicht als Privileg der Macher, sondern als Bedingung und Beweis der eigenen Freiheit zu verstehen.

Sogenannte Glaubwürdigkeitskrise der Medien ist auch Bildungskrise

Wenn selbst demokratieaffine Studierende einer Exzellenzuniversität fahrlässig/unbewusst mit drastischen Verkürzungen um sich werfen, dann scheint die sogenannte Glaubwürdigkeitskrise nicht nur ein Problem der Medienhäuser, Verlage und Rundfunkstationen zu sein. Dann scheinen doch einige Indizien dafür zu sprechen, dass diese sogenannte Glaubwürdigkeitskrise auch ein Problem des Empfängers ist, da jahrzehntelang die Vermittlung zentraler Basiskenntnisse im Kontext Medien versäumt wurde. Wenn das keine Bildungskrise ist, was dann?

Mir ist es dabei egal, ob Medienkompetenz (oder wie immer dieses Kompetenzfeld heißen mag) als explizites Fach oder als querliegendes Thema unterrichtet wird, aber es scheint dringender denn je, dass begriffen wird, dass die Welt in der wir leben, von Medien durchdrungen ist (oder nennen wir es von mir aus gerätebasierte Kommunikation, weil natürlich alles hier her gehört: von WhatsApp bis Wetten Dass…).

Zwei Dinge zum Schluss, damit keine Missverständnisse aufkommen: Ja, ich stelle die These auf, dass die vermeintliche Glaubwürdigkeitskrise der Medien tatsächlich eine Bildungskrise ist, da wir es seit Jahrzehnten versäumen, den Schülerinnen und Schülern die Instrumente/das KnowHow an die Hand zu geben, sich souverän in unserer komplett mediatisierten Welt zu bewegen.

Aber ich sehe selbstredend auch die anderen Herausforderungen. Natürlich gibt es fragwürdige Nachrichtenmainstreams, natürlich läuft journalistische Information als Ware in einem kommerziellen Umfeld Gefahr, Marktlogiken zu folgen, natürlich sind die „Aufsichtsräte“ öffentlich-rechtlicher Sender fragwürdige besetzt, natürlich ist der technologische Innovationsdruck in einer Branche brutal, in der jahrzehntelang in friedlicher Ko-Existenz ungestört Papier bedruckt und allabendlich Fernsehen für alle ausgestarhlt wurde und plötzlich Unternehmen wie Google oder Facebook zu Konkurrenten geworden sind (von denen man gleichzeitig auch noch abhängig ist). Dass aber derartig schamlos mit Begriffen wie „Lügenpresse“ hantiert wird, wäre nicht ohne einen deutlich lauteren Aufschrei möglich, wenn das Wissen über die Medien größer und die Kompetenz sie zu nutzen stärker entwickelt wären.

 

P.S.:  hier erörtert die Gesellschaft für deutsche Sprache das fragwürdige Vokabular der Pegida

P.P.S.: es trifft natürlich nicht auf alle Studierenden zu, was aber am Ende unerheblich ist, da ihnen fast kein Vorwurf daraus zu machen ist, dass sie zu Schulzeiten nicht adäquat über Medien und ihre Funktionsweise/Wirkung aufgeklärt wurden

P.P.S.: Ach ja, und noch etwas, damit es noch klarer wird, gegen Dummheit, Hetze und Bösartigekeit hilft Medienbildung auch nur bedingt; die Arschgeigen von der Pegida werden wir damit nicht von ihren Neurosen kurieren können, aber hier geht’s ja auch nicht um die 10% die immer dagegen sind, sondern um weite Teile der Gesellschaft