Kurz und kritisch: Warum der Sat-1-Film „Böseckendorf“ berührt und doch enttäuscht Die Guten sind die Guten und die Bösen sind die Bösen. Das war schon immer so im deutschen Geschichtsfernsehen und wird wohl auch für immer so bleiben. Das Thema ist gewaltig, Garderobe und Ausstattung sind perfekt und die historische Vorlage hätte von keinem Drehbuch erfunden werden können. Aber das alles hilft dem Sat-1-Film „Böseckendorf“, der die Fluchtgeschichte eines ganzen Dorfs aus der DDR des Jahres 1961 erzählt, auch nicht. Dramaturgie und Figuren bleiben zu berechenbar. Und trotzdem berührt der Stoff – unausweichlich.


Eine der größten Herausforderungen bei der Betrachtung historischer Stoffe im deutschen Fernsehen, sind die eigenen Vorbehalte. Geschichte, mit ihren Widersprüchen, Verwerfungen und Abgründen, verkommt zu oft zum bloßen Material für die Stangenware der deutschen TV-Anbieter. So auch am gestrigen Abend. Als ein gut gelaunter Sat-1-Nachrichtensprecher „den wirklich spannenden Film“ ankündigt, „viel Spaß dabei“ wünscht und die Studioregie im Hintergrund ein Bild der Hauptdarsteller in den Posen einer Rockband einblendet, werden beim skeptischen Zuschauer alle Ressentiments perfekt bedient.

Doch um es gleich vorweg zu nehmen: Wer bereit ist als Zuschauer bei Spielfilmen wie „Böseckendorf“ mitzuspielen, kommt zumindest zum Teil auf seine Kosten. Denn jeder wird dann mit den Figuren zittern, ihnen wie beim Krimi oder Fußballhalbfinale die Daumen drücken. Er wird erleichtert aufatmen, wenn am Schluss allen, aber auch wirklich allen 50 Böseckendorfern die nächtliche Flucht aus der DDR in den Westen gelungen ist. Er wird Gefahr laufen, zu Tränen gerührt zu sein, wenn sich Protagonist und Protagonistin am Ende entgegen jeder Wahrscheinlichkeit in den Armen liegen.

Und genau hier liegen die Grenzen der Fernsehunterhaltung. Happy-Ends in historischen Darstellungen sollten grundsätzlich verboten werden. Die Überwältigungsstrategie der deutschen Fernsehmacher, die ständige Emotionalisierung, die Kennzeichnung wichtiger Szenen mit eindeutiger Musik und den Drehbücher aus ein und demselben Baukasten, mit ihren typischen Wendepunkten, erreicht zwar die Gefühle des Zuschauers – mit historischer Wirklichkeit hat das Ganze aber circa gar nichts zu tun. Aufklärung, Komplexität, Differenzierung – Fehlanzeige.

Aber der Reihe nach. Wir sind im Jahr 1961. Kurz vor dem Mauerbau. Ein kleines Dorf liegt an der deutsch-deutschen Grenze. Seine renitente Bauernschaft verweigert sich den Kollektivierungsforderungen der Partei. Stattdessen erntet der einzige Kommunist im Dorf regelmäßig Spott und tragen die Vogelscheuchen auf den Feldern die FDJ-Hemden.  Brüskierungen der Partei, die sie nicht länger hinnehmen will. Ein ehemaliger Dorfbewohner, der als Karrierist in der entfernten Stadt die Hierarchieleiter der Stasi schnell nach oben geklettert ist und seine von pathologischem Ehrgeiz angetriebene Assistentin planen die Zwangsumsiedlung der Dorfbewohner.

Ihnen zur Hilfe eilt eine von enttäuschter Liebe verleitete Dorfbewohnerin als Informantin. Ihre Einführung in das Figurenensemble des Films war einer jener Momente, in denen ein starkes Drehbuch mit dem Zuschauer gemeinsam hätte hinuntersteigen können, in die Abgründe der Denunziantenseele. Dort hätte ihm das Drehbuch zeigen können, wie viel Mensch im Denunzianten steckt und wie wenig Teufel, hätten ihn konfrontieren können, mit der Frage, wie viel Denunziant denn vielleicht in ihm schlummert. Denn wie sagt schon eine alte Redewendung: „Wer im Feind nicht den Menschen sieht, ist ein Menschenfeind“. Aber derartige Risiken wussten Drehbuch und Film rasch zu umgehen. Die schlauen Dorfbewohner enttarnten die Informantin insgeheim und nutzten sie für Ihre Zwecke. Es folgt ein halbwegs unterhaltsames Spiel aus Information und Desinformation.

Den Zuschauer aber beschleicht zunehmend der Eindruck, die stets klugen und immer etwas raffinierteren Dorfbewohner, seien in Wahrheit keine thüringischen DDR-Bürger, sondern wackere Gallier. Und auch die Antipoden, jene Stasioffiziere und Grenzsoldaten, die der Regisseur gerne mit bedrohlicher Musik oder im Halbschatten ihrer Apparatschikbüros vorführt, verwandeln  sich im Laufe der Geschichte doch eher in plumpe Römer als in wahrhaftig gefährliche Handlanger der Macht.

Wo bleiben hier die psychologischen Details, die uns erklären, warum dieser sich nicht von der Macht korrumpieren lässt und jener ihr verfällt? Wann wird uns erklärt, warum die Assistentin zu einer echten Schlange wird? Auch der Dorfbürgermeister hätte uns viel erzählen können, über die Hoffnungen, die mancher mit Landreform und Sozialismus verbunden hat. Aber soziale Kontexte bleiben rar, Figurenbiographien dünn. Etwas weniger historische Garderobe und etwas mehr psychologische Präzision hätten den Figuren zu echtem Leben verholfen. Auch wenn eingeräumt werden muss, dass es alles andere als leicht ist, einem so umfangreichen Ensemble in gut 100 Minuten Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Über die Motive der Heldin, die seit Jahren Fluchtwillige nächstens über die Grenze schleust, ohne mit ihrem geliebten Mann auch nur ein Wort darüber zu wechseln, erfahren wir immerhin, dass sie zu Nazizeiten mit ihrem Vater fliehen musste und dabei die Mutter verlor. Das bringt sie noch Jahre später um den Schlaf, wie uns eine originellerweise schwarz-weiß eingefärbte Traumsequenz vermittelt. Und um allerletzte Zweifel an diesem Übermotiv zur Seite zu schieben, spricht sie es dann auch noch aus, die Heldin. „So etwas wie damals, bei den Nazis, das darf es nie wieder geben!“ Richtig, möchte man entgegnen, aber das wissen wir nun auch schon länger. Aus einer historisch komplexen Lage machen solche Aussagen eine historische 0 und 1 Situation. Gut oder böse. Richtig oder falsch. Geschichte geht auf wie eine mathematische Gleichung.

Bleibt am Ende noch der Showdown. Nach dem dritten Werbeblock geht’s in den Wald und über den Grenzfluss. Und der Zuschauer, der ja mitzuspielen versprochen hatte, fiebert tatsächlich vor der Mattscheibe. Ein ganzes Dorf flieht aus der DDR. Dem Land, das sich spätestens am 13. August selbst zu einem Gefängnis machte. Die Dorfbewohner hocken hinter Büschen und Sträuchern, die Scheinwerfer der Grenzer streifen bedrohlich über Felder und Bäume. Einer nach dem anderen schlüpft durch den Zaun. Fast alle sind drüben. Da kreuzt die vom Ehrgeiz zerfressene Schlange samt Gefolge auf.

Zum Schluss gibt es das Auge-in-Auge der Heldin. Die eine blond, die andere schwarzhaarig. Ihr Stasigenosse hat die Waffe bereits auf unsere wackere Fluchthelferin gerichtet. Sie ist die Letzte, die noch nicht durch den Zaun geschlüpft ist. Aber da geschieht es, die Stasibestie bekommt ein menschliches, allzu menschliches Gesicht und drückt die Waffe ihre Kollegen zu Boden. Unsere Heldin entkommt. Und der Zuschauer kämpft vor dem Empfangsgerät mit den Tränen, über die er sich maßlos ärgern wird.

(Der Originaltext erschien am 23.09.09 auf FriedlicheRevolution.de)