Markus Heidmeier

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Instagram-Romantik

Blumen mit Morgentau. Koreanisches Essen. Schafe im Streichelzoo. Das fotografische Portfolio vieler digitaler Innovationstreiber auf Instagram arbeitet mit einer romantischen Bildsprache aus dem 19. Jahrhundert. Woher kommt dieser Regress? 

Die Romantik war im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert eine Reaktion auf die ernüchternde Wucht der Aufklärung. Die suchende Seele fand sich in Bildern von Caspar David Friedrich wieder oder in der Mucke von Gustav Mahler. Romantik war dabei nie Kitsch sondern Sehnsucht, Ausbruch. Die Welt war zu klein geworden für die gefühlte Verlorenheit. In der aktuellen Ausstellung Dahl und Friedrich im Albertinum der Staatlichen Kunstsammlung Dresden kann jeder eine Reise in Richtung Romantik antreten (Disclaimer: Ja, das Video oben haben wir von der KOOPERATIVE produziert).

Bildschirmfoto 2015-05-20 um 10.56.51

Warum erzähle ich das alles? Weil ich mich frage, ob die romantisierten Fotografien auf Instagram Indizien für eine Neo-Romantik sind oder ob es sich einfach um Kitsch, Regress und digitales Biedermeiertum handelt. Foodporn ist ein Instagram-Standard. Cat-Content natürlich auch. Vor allem aber wimmelt es von verträumten Landschaften, Sonnenunter- und aufgängen, Wolkenformationen, Blüten, Blumenteppichen oder wahlweise pittoreske Häuserzeilen, -fassaden oder patinierten Möbel.

Was mich dabei verwundert, ist nicht nur der Umstand, dass gerade Treiber digitaler Innovationen aus Medienhäusern zu dieser Form der Neo-Romantik neigen. Warum?Dass ich da selbst keine Ausnahme darstelle, zeigt der Overview meiner Fotos auf Instagram links.

Wer sich durch die Instagramstreams der Innovationsnerds klickt wird das Gefühl nicht los, als hätten die Bechers oder Andreas Gursky und Candida Höfer nie stattgefunden. Natürlich gabs auch die „Helle Kammer“ nicht und auch keinen Walter Benjamin.

Eskapismus und Regress scheinen mir die Begriffe zu sein, um die es hier geht. Da sitzen wir alle in Konferenzen, Workshops und Meetings, in denen Datenanlyse, Userinterfaces und Distributionsstrategien diskutiert werden, und privat gehen wir dann ganz unreflektiert unserer trivialen Sehnsucht nach dem Intakten, dem Heilen nach. Das Ganze ist aber leider näher am Kitsch als an der Neo-Romantik.

Das ist eine digitale Sünde. Denn mit den Kitschfluten auf Instagram (und Facebook, Vine, Snapchat etc.) manifestieren wir eine Bildsprache, die mit unserer Realität nichts zu tun hat. Unsere Welt ist längst eine andere. Brüche, Parallelwelten aus 19., 20. und 21. Jahrundert, Zersiedlung, Gentrifikation, Stromtrassen, Autobahnkreuze. Und wir sind die, die diese Bildersprache fürs 21. Jahrhundert miterfinden müssen. Denn die Gurskys und Höfers verschwinden wie die Gatekeeperrollen von Zeitung und TV.

Vielleicht sollte ich die seit Jahren in meinen Plänen herumgeisternde Fotoserie „Niemandsland“ endlich mal starten. Hier sollen (Un-) Orte portraitiert werden. Grünflächen unter Autobahnbrücken, vergessene Grundstücke  in Industriegebieten, Fussgängerunterführungen in autogerechten Innenstädten.