Markus Heidmeier

Journalismus, Medienentwicklung, Fussball, Politik und wichtige Themen

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Rennradfahren

Erlösung ist ein großes Wort. Und uralt. Aber genauso fühlt sich Rennradfahren an. Uralt. Und wie Erlösung.

Es ist die Bewegung der Oberschenkel am unteren Rand des Gesichtsfelds. Vorne die Straße. Grau. In den wechselnden Körnungen des wechselnden Asphalts.  Hell, dunkel, grob, Fein. Schlagloch. Hell, grob. Pfütze. Dunkel, fein. Blätter. Immer so weiter. Rechts Kühe, links ein LKW. Viel zu nah. Aber die Oberschenkel immer im gleichen Rhythmus. Raufrunter. Raufrunter. Raufrunter. Der ganze Körper ein einziger Kolben. Die Atmung verbrennt mit dem eingeatmeten Sauerstoff die Energie. Und die Gedanken. In den tiefsten Momenten ist Rennradfahren keine Sportart, sondern ein Zustand.

Ich fahre noch nicht lange Rennrad. Aber mit großer Begeisterung (eigentlich ist es Fanatismus). Nach Fussball von 10 bis 20, Schwimmen von 20 bis 30 und Laufen von 30 bis 40 ist jetzt offenbar seit einiger Zeit das Rennradfahren mein Weg zur Erlösung. Der Exit aus bürostuhlsitzen, rechneranstarren, inmeetingsrumhängen und telefonieren. Angewandte Metaphysik auf zwei Rädern. In aller Bescheidenheit.

Durch Berlin, über die märkischen Dörfer, entlang der Seen in Brandenburg oder des Rheins in Köln, der Elbe in Dresden oder ins Sauerland.  Rennradfahren geht immer. Der Rausch funktioniert. Die Kombination aus Geschwindigkeit, Landschaft, Rhythmus, Schmerz, Erschöpfung, Endorphinen, Serotonin und Adrenalin (beim Wettrennen mit dem Bus über den 17. Juni in Berlin…).

Wenn ich mit der monströsen Rennradtasche aus dem ICE steige und Hotels betrete, ernte ich regelmäßig irritierte Blicke. Noch ratloser werden die Hotelgäste und -mitarbeiter, wenn ich dann im Winter als Hilfsastronaut  mit Helm, Brille, Sturmhaube und Rad auf der Schulter aus dem Fahrstuhl steige. Aber ich kann es nur empfehlen – vor Meetings, auf Konferenzen, nach Workshops – zwei Stunden Hochgeschwindigkeitsrennrad und man ist wieder ein Mensch. Atmung, Gerüche, innere Ruhe. Der Körper erinnert dann mit einem Augenzwinkern beim Treppensteigen an den langsamen Verfall und das heitere Aufbäumen dagegen.

Ehrlich gesagt – wenn ich der Bestimmer wäre – würde ich Rennradfahren gerne zur Bürgerpflicht erklären. So wie Wählen oder Medienkompetenz. Aber Bestimmer gibt’s ja bei uns nicht mehr. Vielleicht auch nicht so schlecht.  Yoga und Rennen sollen ja angeblich auch gut tun.

 

 

P.S.: auf Strava gibt’s mich natürlich auch